Gewinnerprojekt 2024 „Koatlackn“ von Markus Weithas

„Koatlackn“ war ursprünglich der Namen der Einheimischen für die St. Nikolaus-Gasse. Der Begriff hat sich mittlerweile verselbständigt und erfährt zahlreicheunterschiedliche Interpretationen.

Mit dem eingereichten Projekt wird versucht, zunächst dem Begriff seine ursprüngliche Bedeutung zurückzugeben. Weiters wird ausgehend von Überlegungen aus der Sprachwissenschaft versucht, die sprachliche Komponente und die Wurzeln des Begriffs auszuarbeiten.

Gemeinsam mit dem Dialektarchiv der Universität Innsbruck wird das Wort analysiert. Typografisch wird der Begriff mit der im Rahmen eines langjährigen Projektes des Dialektarchivs mit dem Typografie-Büro Typejockeys entstandenen Schrift „Antonia Phonetik“ dargestellt.

Zusätzlich werden Informationen über die Koatlackn beigestellt.

Da der Verein Vogelweide aus einem Bürgerbeteiligungsprozess für die Entwicklung des Stadtteils „Anpruggen“ hervorgegangen ist, möchte ich hiermit ein Projekt realisieren, das unmittelbar mit diesem Stadtteil zu tun hat. Es ist eine lokale res publica.

Projektziele

den Mythos Koatlackn zu thematisieren und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen

Verständnis für innersprachliche Aspekte der Sprache zu schaffen

Lustvolles Ausprobieren des Dialektwortes

 Ausgangssituation

Grundlage für das Projekt sind die Arbeiten von  Mag. Dr. Yvonne  Kathrein vom Dialektarchiv der Universität Innsbruck sowie der Typejockeys, einem Büro für Schriftgestaltung in Wien, die als Partner gewonnen werden konnten. Aus deren Zusammenarbeit entstand ein einzigartiges Projekt: eine digitalisierte Schrift für die Teuthonista, die phonetische Schrift der Sprachforschung.

Die Entstehung der Schrift Antonia Phonetik

2014 begann an der Universität Innsbruck unter der Initiative von Thomas Parth ein Projekt, dessen Ergebnis die nun vorliegende Schrift

Antonia Phonetik ist. Gemeinsam mit den Grafikern Florian Gapp und Matthias Triendl, der damaligen Leiterin des Dialektarchivs Maria Pümpel-Mader und deren MitarbeiterInnen sowie später den Typejockeys, Schriftgestaltern aus Wien, wurde diese Schrift entwickelt.

Florian Gapp und Matthias Triendl haben als Vorarbeit aus einer bestehenden Schrift die Glyphen für die Teuthonista entwickelt. Florian Gapp sagte (vor Kurzem in einem Telefongespräch mit mir, Anm.) zu den ersten Ideen zur Auswahl der Typografie sinngemäß:

 „wir haben eine Schrift gesucht, die besonders charakterische Einzelzeichen aufweist. Es sollen keine Symmetrien zu finden sein. So wie jeder Mensch eine Einzelpersönlichkeit darstellt, soll auch im Schriftbild jede Type charakteristisch sein.“

Es entstand die Schriftfamilie Antonia, die zusätzlich zu den üblichen Schriftzeichen für wissenschaftliche Anwendungen die Antonia Phonetik anbietet. Nun soll sie einen ersten ehrenvollen Auftritt erhalten.

Umsetzung

Das Wort Koatlackn wird groß plakatiert. Unter dem Wort sind kurze vertiefende Informationen in Deutsch, Englisch und Italienisch angebracht. In einer montierten Halterung werden Folder bereitgestellt, in denen vertiefende Informationen zu finden sind. Angaben zur Schrift und der richtigen Aussprache hat freundlicherweise Frau Mag. Dr. Yvonne Kathrein zugesichert.

Anhand einer Skizze des Rachenraumes wird visuell dargestellt, wie die Laute zu formen sind. Zusätzlich gibt es eine Ortsskizze, in der die Lage der Koatlackn eingezeichnet ist.

 

DER THEORETISCHE UNTERBAU

 Der Ort und die Sprache

Wo bzw. was ist die Koatlackn?

Franz-Heinz Hye gibt in Ausgabe 16 der Kulturzeitschrift  „das Fenster“ Auskunft:

(…) Im Gegensatz dazu begegnet uns schon we­nige Jahre nach der Inbetriebnahme des Neuen Weges für die alte Hauptstraße die abfällige Bezeichnung „Katlachn“ oder „Kot­lacke“, welcher seit 1517 (nicht 1506) nach­weisbare Name noch heute als Spitzname, aber für ganz St. Nikolaus, lebendig ist. Die Ursache für diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung war vermutlich der Umstand, daß kurze Zeit zuvor in den ungepflasterten Boden der St-Nikolaus-Gasse die hölzernen, an ihren Kupplungsstellen undichten Was­serleitungsrohre der von der Tuffbachquelle oberhalb der Weiherburg in die Stadt hin­unter verlegten Hofwasserleitung vergraben worden sind, wodurch der dortige Straßen­boden mehr als nur durch das Regenwasser aufgeweicht wurde und „kotig“ war.

Die Sprache spricht uns: Sapir-Whorf-Hypothese

”Die Art, wie wir sehen, wie wir in Einheiten unterteilen, wie wir die physische Wirklichkeit als System von Beziehungen begreifen, wird determiniert von den (offensichtlich nicht universellen) Gesetzen der Sprache, mit der wir gelernt haben zu denken – in diesem Fall ist also die Sprache nicht das, mittels dessen man denkt, sondern das, wodurch man denkt, oder gar das, was uns denkt bzw. von dem wir gedacht werden.“

Die Sapir-Whorf-Hypothese geht auf den Linguisten und Ethnologen Edward Sapir und auf seinen Studenten Benjamin Lee Whorf zurück. Sapir hat im Lauf seiner Arbeit als Ethnologe Sprachen nordamerikanischer Natives erforscht und aufgeschrieben. Dabei hat er erkannt, dass es in verschiedenen Sprachen Begriffe gibt, die in anderen so nicht exisitieren. Weitere Wissenschaftler, die auf dieses Faktum hinweisen sind Louis Hjelmslev und Umberto Eco.

Weitergeführt wurde die Sapir-Whorf-Hypothese von Basil Bernstein als Bernstein-Hypothese. Bernstein bezieht sich dabei auf innersprachliche Unterschiede und unterscheidet zwischen elaboriertem (Sprache der gebildeten Schicht) und restringiertem Code (nichtlexikalisch notierte Sprache). Anfängliche Behauptungen, wonach der elaborierte gegenüber dem restringierten Code ein größeres Repertoire hätte, relativierte er später. Aus der Dialektforschung ist ersichtlich, dass es lokal ausgebildete Begriffe (meist Verben, Nomen, Adjektive, Pronomen) gibt, die anderswo so nicht existieren.[1]

Die Koatlackn ist ein gutes Beispiel für den restringierten Code in der Anwendung. In Österreich ist der Gebrauch des Dialekts in der Öffentlichkeit nicht wirklich angesehen. Anders als in der Schweiz findet der Dialekt z.B. im öffentlichen Rundfunk keinen Eingang.

Ein örtlicher Bezug, ganz radikal …

Gegenüber dem Waltherpark, in der Herzog-Friedrich-Straße 3 befindet sich das Ernst-von-Glasersfeld-Archiv der Universität Innsbruck. Glasersfeld hat als Mitbegründer des Radikalen Konstruktivismus auch auf die Rolle der Sprache zur Herstellung von Wirklichkeit hingewiesen. Das den Inn überbrückende Dreieck von Dialektort, Kunstort und Ort der Wissenschaft ist ein spannender Zufall. Glasersfeld lebte aufgrund seiner Biografie an vielen Orten und war, wie er selbst sagte, zwischen den Sprachen zu Hause. Mit Deutsch als Muttersprache sprach er perfekt Englisch, Italienisch und Französisch. Jede dieser Sprachen stellte für ihn, mit teils Begriffen, die in die anderen Sprachen nicht direkt zu übersetzen sind, eine eigene Art von Wirklichkeit dar.

In seinen Arbeiten wies Glasersfeld auf die prinzipielle Unübersetzbarkeit von Sprache hin. Diese Überlegungen lassen sich auch auf das Projekt Koatlackn übertragen. Hier ist eine eigene Wirklichkeit vorzufinden, die jeder/jede nach seinen/ihren Vorstellungen für sich interpretiert und sich darin zu Hause fühlt.

Shibboleth

Der Begriff stammt aus der Bibel und bezeichnet eine Furt, die einen Grenzort darstellt. Im jüdischen Tanach (dem christlichen Alten Testament) im Buch der Richter 12,5–6 EU wird geschildert, wie ein Grenzposten an einer Furt alle Passanten auffordert, dieses Wort auszusprechen. Aufgrund der unterschiedlichen Aussprache diesseits und jenseits der Grenze wird zwischen Freund und Feind unterschieden. Deshalb wird das Wort heute in der Bedeutung von „Kennwort“ oder „Codewort“ verwendet.[2]

Das Wort Koatlackn ist also ein Shibboleth, das von den Ansässigen genutzt wird, um wie in dieser Bibelstelle Freund und Feind zu unterscheiden. Vertieft man sich in die Ausführungen des Dialektarchivs, sieht man, dass es in Tirol eine Vielzahl dieser Shibboleths gibt und der Begriff Koatlackn zwar bekannt, aber keine lokale Besonderheit ist.

Wer in Tirol unterwegs ist (und natürlich nicht nur dort), wird beobachten, dass es deutliche Unterschiede zwischen geschriebener und gesprochener Sprache gibt. Der Alpbacher wird sich niemals als solcher bezeichnen, sondern als Oipbekka (sicher falsch geschrieben) und der Innsbrucker ist eben ein Inschbrukka. Abhängig vom Stadtteil.

Mythos

Ein Mythos ist in seiner ursprünglichen Bedeutung eine Erzählung. Im Kontext von Philosophie, Strukturalismus und Poststrukturalismus, Psychologie, Anthropologie, Soziologie, Religions- und Literaturwissenschaft etc. wird der Begriff jeweils unterschiedlich gedeutet.

In diesem Projekt wird der Fokus auf die Betrachtungen aus der Sicht des Strukturalismus und Poststrukturalismus gelegt. Der Soziologe Niklas Luhmann sagt: „Sprache teilt die Welt nicht mit, sie teilt sie ein. Sie sagt, was sie sagt, sie sagt nicht, was sie nicht sagt. Sie differenziert.“

Gerade diese Differenzierung findet über den einheimischen Sprachgebrauch in der Koatlackn besonders deutlich statt.

Teil des Mythos „Koatlackn“ ist der rauhe Sprachklang, der durchaus auch dem rauhen Umgangston der BewohnerInnen untereinander entspricht. Die BewohnerInnen der Koatlackn waren arm, die nicht weit über den Inn wohnende reiche BürgerInnenschicht verdeutlichte den Kontrast. Hier konnte man sich nur mit Witz, Verstand oder eben reiner Muskelkraft durchsetzen. Auf der Homepage koatlackn.at wird Rudolf Greinz zitiert, der 1917 schreibt:

„Es ist keine ansprechende Gegend. Die alten Häuser dieser Gasse machen vielfach einen verlotterten Eindruck. Schmutzige, unreinlich gekleidete Frauen und Kinder stehen und gehen da herum. Oft ertönt auch schrilles Geschrei von zankenden und keifenden Weibern; denn die Kothlacknerinnen sind in dem Ruf, recht unverträglich zu sein. Wer sie näher kennt, weiß, daß sie besser sind als ihr Ruf. Gutherzig, hilfsbereit und ehrlich.“[3]

Mittlerweile wird der Begriff Koatlackn verschieden verwendet. Aus meiner Erfahrung meinen manche, damit den ganzen Stadtteil zu bezeichnen, andere meinen gleich ganz Innsbruck damit. So hilft der Mythos bei der innertirolischen Differenzierung mit. Vielleicht ist ein Projektergebnis ein achtsamerer Umgang mit der Sprache.


[1]  siehe https://www.sprachatlas.at/alpenraum/data/atlas.html

 

[2]  https://de.wikipedia.org/wiki/Shibboleth

 

[3]  Zitat und Quelle: www.koatlackn.at, Homepage eines Lokalpolitikers – er nutzt den Mythos Koatlackn für seine politische Propaganda.